Rechtswissenschaft
Anna Leisner-Egensperger
Der legitime Zweck als Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeit
Zum Zweck freiheitsbeschränkender Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie
Jahrgang 76 (2021) / Heft 19,
S. 913-924 (12)
Publiziert 27.09.2021
Die Frage nach dem legitimen Zweck steht am Anfang jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei infektionsrechtlichen Schutzmaßnahmen hat der Gesetzgeber im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit zwar einen weiten Spielraum zur Festlegung des jeweiligen pandemischen Zwecks. Durch Auslegung ist jedoch sowohl bei explizit polyteleologischen Normen als auch bei materiellen Zweck-Staffelungen ein einziger konkreter Zweck als Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln. Denn die mehrspurige Prüfung milderer Mittel anhand unterschiedlicher pandemischer Zwecke lässt das Kriterium der Erforderlichkeit leerlaufen. Auch droht der Rückgriff auf infektionsschutzrechtliche Befugnisnormen ohne definierten Zweck spezielle Voraussetzungen gefahrenabwehrrechtlicher Normen auszuhebeln.