Cover von: Zu viele Emotionen? - Zur strafrechtlichen Debatte über sexuelle Übergriffe und Falschbeschuldigungen
Elisa Hoven, Frauke Rostalski

Zu viele Emotionen? - Zur strafrechtlichen Debatte über sexuelle Übergriffe und Falschbeschuldigungen

Rubrik: Umschau: Kurzbeiträge
Jahrgang 79 (2024) / Heft 23, S. 1084-1087 (4)
Publiziert 28.11.2024
DOI 10.1628/jz-2024-0351
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Beschreibung
Sexualdelikte sind ein hoch sensibles Thema. Die Taten selbst, aber auch ihre Verfolgung und Ahndung durch die Justiz lösen Emotionen aus - denn sie berühren zwei Urängste: Die Angst, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, ebenso wie die Angst, ungerechtfertigt einer solchen Tat bezichtigt zu werden - mit all den verheerenden Folgen, die dies für das private Leben haben kann. Aufgrund der häufig gleichen Verteilung der Rollen ha-delt es sich um ein Thema, das droht, die Geschlechter gegeneinander in Stellung zu bringen. So sind es meistens Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe werden. Feministinnen beklagen eine zu geringe Verurteilungsquote oder gesetzliche Schutzlücken (etwa mit Blick auf »Catcalling«). Demgegenüber wird die Sorge vor falschen Verdächtigungen - wie jüngst von Tonio Walter in JZ 2024, 1044 ff., im Rahmen seiner Anmerkung zum Beschluss des BGH vom 18.1.2024 (5 StR 473/23) - vor allem von Männern in den Vordergrund gestellt. Beide Perspektiven sind nachvollziehbar und sollten im öffentlichen Diskurs Raum erhalten. Gerade angesichts der mit der Thematik verbundenen Emotionalität muss jedoch bei der Diskussion über Gesetzesreformen, bei einer Bewertung der Verfahrenspraxis und bei der Strafzumessung darauf geachtet werden, dass Ansichten und Forderungen nicht allein auf persönlicher Betroffenheit, affektiver Nähe oder eigener Verletzlichkeit beruhen, sondern sachlich begründet sind. Dasselbe gilt für die Kritik an Stimmen, die sich in diesem Zusammenhang äußern. Wenn sich Frauen kritisch zu geringen Strafmaßen bei Sexualdelikten äußern oder Männer härtere Strafen fordern für Frauen, die Männer zu Unrecht einer Sexualstraftat bezichtigen, ist dies nicht von vornherein eine wissenschaftlich zu vernachlässigende Identitätspolitik ohne sachlichen Gehalt. Werden Sachargumente vorgetragen, sollten diese nicht durch das allzu einfache rhetorische Mittel der Verunglimpfung als bloße Emotionalität übergangen werden. Sachlich diskutiert werden muss gerade da, wo sich Risse auftun - nur so können Lösungen gefunden werden, die Rechtsfrieden versprechen.