Hat Max Webers Soziologie ein ausreichendes Potential, um neben der historischen Entstehung der Moderne auch ihre heutige Ausbreitung zu begreifen? Die Beiträge des vorliegenden Bandes, der auf ein Symposium im April 2014 in Heidelberg anlässlich Max Webers 150. Geburtstag zurückgeht, stellen sich der Herausforderung, seine Soziologie in Konfrontation mit aktuellen Problemlagen zu entfalten und weiterzuentwickeln.
Die Gedenkfeiern zu Max Weber häufen sich: 2004 100 Jahre Protestantische Ethik, 2014 der 150. Geburtstag, 2020 der 100. Todestag, und damit zugleich Jubiläumsbände und Biographien. Doch wie aktualisiert man einen Klassiker? Rein rezeptionsgeschichtliche und werkimmanente Interpretationen werden dafür nicht ausreichen. Die langfristige Vitalität von Webers Soziologie wird von ihrer Fähigkeit abhängen, die sich verschiebende Signatur unserer Epoche und die damit verbundenen Lebensprobleme zu begreifen. Gefragt sind Anstrengungen, die Webers Forschungsprogramm in Konfrontation mit zeitgeschichtlichen Problemlagen entfalten und weiterentwickeln. Dieser Herausforderung stellen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes und setzen dafür Impulse. Was leistet Webers Religionssoziologie für das Verständnis des heutigen Fundamentalismus und Säkularismus, was seine Herrschaftstypen für die Internationalisierung von Politik? Sind Webers Kapitalismusanalysen auf den aktuellen Finanzmarktkapitalismus anwendbar? Wo zeigen sich moderne Formen des Charismas? Wie haben sich Lebensführungsprobleme verschoben? Was bieten seine Kategorien für die Analyse der Strukturen sozialer Ungleichheit? Hat seine Soziologie ein ausreichendes Potential, um neben der historischen Entstehung der Moderne auch ihre heutige Ausbreitung zu begreifen? Die Beiträge dokumentieren auf überzeugende Weise, dass die Aktualisierung von Webers Forschungsprogramm gelingen kann, dass seine »alten Begriffe« für die Analyse »neuer Probleme« noch nicht ver- oder entwertet sind.
Inhaltsübersicht:
EinleitungThomas Schwinn/Gert Albert: Alte Begriffe - neue Probleme. Max Webers Soziologie im Lichte aktueller Herausforderungen
I. Biographie und das »Licht der großen Kulturprobleme«M. Rainer Lepsius: Max Webers soziologische Fragestellungen im biographischen und zeitgeschichtlichen Kontext -
Gert Albert: Wissenschaftstheoretische Überlegungen zur Kulturgebundenheit und Zweckmäßigkeit der Begriffsbildung
II. Religiöser Fundamentalismus und SäkularismusMartin Riesebrodt: Fundamentalismus, Säkularisierung und die Risiken der Moderne -
Hans G. Kippenberg: Dialektik der Entzauberung. Säkularisierung aus der Perspektive von Max Webers Religionssystematik
III. Neue Formen der nationalen und transnationalen HerrschaftsausübungAndreas Anter: Max Webers Herrschaftskonzept, die EU-Superbürokratie und die Staatenwelt der Gegenwart -
Ute Mager: Zur Aktualität des Idealtypus der legalen Herrschaft aus rechtswissenschaftlicher Sicht
IV. Der aktuelle FinanzmarktkapitalismusChristoph Deutschmann: Entzauberung des Geldes. Max Weber und der heutige Finanzmarkt-Kapitalismus -
Realino Marra: Weber und die deutsche Börse
V. Zur Aktualität der KultursoziologieWolfgang Schluchter: Die Moderne - eine neue Achsen(zeit)kultur? -
Elmar Rieger: Die Eigenart der Sozialpolitik in der westlichen Welt. Religiöse Entwicklungsbedingungen des modernen Wohlfahrtsstaates in vergleichender Perspektive
VI. Neue Mächte der LebensführungHans-Peter Müller: Lebensführung. Eine systematische Skizze im Anschluss an Max Webers Forschungsprogramm -
Harald Wenzel: Lebensführung als Therapie
VII. Moderne Varianten des CharismasAgathe Bienfait: Zeichen und Wunder. Über die Funktion der Selig- und Heiligsprechungen in der katholischen Kirche -
Klaus Kraemer: Propheten der Finanzmärkte. Zur Rolle charismatischer Ideen im Börsengeschehen
VIII. Konsum und soziale UngleichheitJörg Rössel: Kapitalismus und Konsum. Determinanten und Relevanz des Konsumverhaltens in Max Webers Wirtschaftssoziologie -
Martin Groß: Individuelle Qualifikation, berufliche Schließung oder betriebliche Lohnpolitik - was steht hinter dem Anstieg der Lohnungleichheit?
IX. Historische Genese und aktuelle Ausbreitung der ModerneWolfgang Knöbl: Die neuere Globalgeschichte, Max Weber und das Konzept der »multiple modernities« -
Thomas Schwinn: Von der vergleichenden Religionssoziologie zur vergleichenden politischen Soziologie. Max Weber und die Vielfalt der Moderne