Rezeptionsvorgänge sind für die Rechtswissenschaft von zentraler Bedeutung, bisher aber weitgehend unerforscht. Die Beiträge beleuchten unterschiedliche Aspekte rechtswissenschaftlicher Rezeptionsforschung mit dem Ziel, Erinnern und Vergessen als Thema der Rechtswissenschaftstheorie zu entfalten.
Die Rechtswissenschaft denkt wie kaum eine andere Wissenschaft in Entwicklungslinien und Begriffstraditionen. Wie diese Rezeptionsvorgänge funktionieren und aus welchen Gründen sich einige Ansätze durchsetzen, andere hingegen ins Abseits geraten, ist bislang jedoch nicht systematisch untersucht worden. Der vorliegende Tagungsband spürt diesen Mechanismen des Erinnerns und Vergessens in der bundesrepublikanischen Wissenschaft vom Öffentlichen Recht nach. Ein spezifisches Interesse gilt dabei dem Schicksal jener Texte, die trotz anerkannter Qualität niemals oder zumindest nicht mehr Teil des juristischen Kanons waren bzw. sind und die heute die »apokryphen Schriften« des Faches bilden. An ihrem Beispiel lässt sich die analytische Frage nach den Rezeptionsbedingungen mit der Suche nach theoretischen und dogmatischen Alternativen zum gegenwärtigen Diskurs verbinden.
Inhaltsübersicht:
Erinnern: Rezeption als Bedingung des juristischen DiskursesLaura Münkler: Was heißt und zu welchem Ende Rezeption und Vergessen studieren? -
Anna-Bettina Kaiser: Rechtswissenschaft als Rezeptionswissenschaft. Die Rolle von Definitionen, Begriffen, Theorien und Systembildung -
Andreas Funke: Rezeption durch Gerichte. Die »normative« Dimension rechtswissenschaftlicher Theoriebildung -
Christian Bumke: Rezeption und Rezeptionsabbrüche -
Thomas Vesting: Wie verändert der Medienwandel juristische Rezeptionsprozesse? -
Thomas Wischmeyer: Der Kanon des Verfassungsrechts -
David Kästle-Lamparter: Rezeption und Vergessen in der Welt der Kommentare
Vergessen: Apokryphe SchriftenAndreas Kulick: Der Ungleichzeitige - Ulrich Scheuners völkerrechtliches Werk -
Felix Lange: Wilhelm Wengler und der soziologische Blick auf das Völkerrecht. Eine vergessene Methode
Karsten Herzmann: Querdenken als Beruf - Dieter Suhr und sein Grundmodus der Paradigmenkritik -
Michael von Landenberg-Roberg: Die apokryphe Schrift als konserviertes Potential für zukünftige Paradigmenwechsel - Dieter Suhrs Ringen um die »Bewusstseinsverfassung« seiner Zunft -
Matthias Jestaedt: Kommentar
Stefan Martini: Helmut Ridder und das Grundsozialgesetz im Verfassungsrechtsdiskurs -
Michaela Hailbronner: Kanon, Verfassung, Steuerung - Ein Einwurf zur Bedeutung von Martin Drath -
Jonas Marx: Strukturen des Vergessens im Prozess biographischer Konstruktion - Werner Weber als apokrypher Autor
Kai von Lewinski: Karl von Lewinski (1873-1951). Richter, Beamter, Diplomat, Autor
Resümee
Nikolaus Marsch: Rechtswissenschaftliche Rezeptionsforschung. Erste Bilanz und Perspektiven