In den großen ethischen Debatten der Nachkriegszeit zielten die protestantischen Akteure nicht nur auf Meinungsbildung, sondern auch auf konkreten politischen Einfluss. In diesem Band wird rekonstruiert, welche Argumentationsmuster und Begründungsfiguren im Interesse einer Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung sich dabei identifizieren lassen.
Ethische Debatten entstehen aus Anlass eines konkreten politischen Entscheidungsbedarfs und sie münden in politische Regelungen. Die großen Debatten der Nachkriegszeit um Frieden und Freiheit, um Ehe und Familie, um soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt, in denen kontroverse ethische Positionen im Streit lagen, waren immer auch begleitet von der Frage, wie die jeweilige Position in konkrete politische Einflussnahme umgemünzt werden konnte. Wie alle an den Debatten Beteiligten zielten auch die protestantischen Akteure nicht allein auf Meinungsbildung. Sie strebten immer auch politische Mehrheiten an, um die eigene Position möglichst weitgehend in die jeweilige Gesetzgebung einfließen zu lassen. Ihr Engagement verstanden sie dabei als Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung. In diesem Band wird aus verschiedenen Perspektiven rekonstruiert, welche Argumentationsmuster und Begründungsfiguren sich dabei identifizieren lassen.
Inhaltsübersicht:
Christian Albrecht/Reiner Anselm: Aus Verantwortung. Der Protestantismus in den Arenen des Politischen. Eine Einleitung
I. Formen der Verantwortung
Lydia Lauxmann: Angenommene Verantwortung. Wie die EKD registriert, dass sie politisch Einfluss nimmt -
René Smolarski: Verantwortung im eigenen Interesse. Wege direkter Einflussnahme der Evangelischen Kirche auf die Ausgestaltung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 -
Luise Poschmann: Verantwortung im Gemeinwesen. Evangelischer Protest gegen eine Reform der Krankenhausfinanzierung 1977 im Medienspiegel -
Philip Smets: Verantwortung zum Dialog. Klaus von Schubert und das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit in den sicherheitspolitischen Debatten der SPD und des Protestantismus in den 1980er Jahren -
Michael Greder: Verantwortung in organisierter Verantwortungslosigkeit. Die Argumentation Wolf-Michael Catenhusens für die Einsetzung der Gentechnik-Enquete -
Katharina Herrmann: Verantwortung für das Ganze. Das ökumenische Liederbuch »Schalom« als Medium der Einwirkung auf das politische Bewusstsein junger Christinnen und Christen
II. Themen der Verantwortung
Jonathan Spanos: Anwaltschaftliche Verantwortung? Politische Einflussnahme des Flüchtlingsbeirats der EKD in den 1950er und 1960er Jahren -
Marius Heidrich: Verantwortung für ein Kind. Die Kontroversen um den Kommentar 'Bevölkerungspolitik und Rentenlast' der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für soziale Ordnung 1978 -
Anne Friederike Hoffmann: Verantwortung für die Umwelt. Das Beispiel der kirchlichen Umweltbeauftragten -
Tim Schedel: Verantwortung wahrnehmen in der Energiefrage. Die Enquete-Kommission »Zukünftige Kernenergiepolitik«
III. Spannungen der Verantwortung
Nikolas Keitel: Verantwortung durch Perspektivendifferenzierung. Die Debatten um die Atomwaffen in den 1950er und 1980er Jahren -
Nicola Madeleine Aller: Verantwortung vor der Tradition oder Verantwortung für die Gegenwart? Die EKD im Ringen um das Ehe- und Familienbild seit 1971 -
Johannes Noltenius: Verantwortung für den Einzelnen oder für die Rechtsordnung? Art. 1 Abs. 1 GG als kirchliches Argument in Strafvollzugsdebatten in Deutschland -
Annette Haußmann: Verantwortung zwischen Anwaltschaft, Verkündigung und Eigeninteresse. Die Debatte um die 'Neuen Medien' zwischen 1978 und 1984
IV. Strukturen der Verantwortung
Christiane Kuller/Claudia Lepp: Der Protestantismus in den Arenen des Politischen. Eine zeithistorische Perspektive -
Andreas Busch: Akteure, Ressourcen, Foren, Motive und Ergebnisse. Eine politikwissenschaftliche Perspektive -
Hans Michael Heinig: Politische Verantwortung und die evangelische Kirche im säkularen Staat. Eine rechtswissenschaftliche Perspektive -
Christian Albrecht/Reiner Anselm: Von der Selbstverständlichkeit zur Suche. Transformationen des Verantwortungsbewusstseins. Eine theologische Perspektive