Dürfen Gerichte Rechtsfortbildung betreiben, wenn sie das geschriebene Recht für unzureichend halten, um einen Rechtsstreit zwischen Privaten zu entscheiden? Victor Jouannaud untersucht diese Frage anhand verfassungsrechtlicher Grundprinzipien und entwickelt einen differenzierenden Ansatz zur Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im Privatrecht.
Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten stellt sich häufig das Problem, dass das geschriebene Privatrecht unzureichend erscheint, um den konkreten Fall zufriedenstellend zu entscheiden. Dies liegt oftmals daran, dass der Gesetzgeber untätig geblieben ist, obwohl er nach Auffassung des angerufenen Gerichts eine Regelung hätte erlassen sollen. Dürfen Zivilgerichte die (vermeintliche) Lücke dann mittels Rechtsfortbildung schließen? Victor Jouannaud untersucht, inwieweit der verfassungsrechtliche Grundsatz des Gesetzesvorbehalts richterlicher Rechtsfortbildung im Privatrecht Grenzen setzt. Er entwickelt einen differenzierenden Ansatz, wonach der Gesetzesvorbehalt im Privatrecht zu beachten ist, wenn es mit grundrechtseingreifender Wirkung zu Regulierungszwecken eingesetzt wird, während mehr Freiraum für richterliche Rechtserzeugung besteht, wenn die Gestaltung des privatrechtlichen Interessenausgleichs im Zentrum steht. Aus dieser Erkenntnis leitet der Autor Vorgaben insbesondere für die regulatorische Privatrechtsanwendung ab.
Inhaltsübersicht:
Einführung
§ 1 Problemaufriss
§ 2 Gegenstand und Gang der Untersuchung
§ 3 Historische Herleitung des Gesetzesvorbehalts
§ 4 Die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG
§ 5 Hinterfragung der traditionellen Ausrichtung des Gesetzesvorbehalts
§ 6 Vereinbarkeit des Gesetzesvorbehalts mit Funktionen der (Privat-)Rechtsprechung
§ 7 Unklare Handhabung im Privatrecht: Rechtsprechung des BVerfG und BGH
§ 8 Differenzierung von Rechtsfunktionen als rechtstheoretische Grundlage
§ 9 Rechtsstaatlich-grundrechtliche Funktion des Gesetzesvorbehalts: Verknüpfung von Grundrechtsfunktionen und Privatrechtsfunktionen
§ 10 Demokratisch-gewaltenteilungsbezogene Funktion des Gesetzesvorbehalts: Gemeinwohlbezug und Prognosecharakter als Indizien für Wesentlichkeit
§ 11 Gesetzgebungsperspektive: Anforderungen an gesetzliche Grundlagen privatrechtlicher Regulierung
§ 12 Rechtsprechungsperspektive: Methodische Anforderungen an regulatorische Privatrechtsanwendung
§ 13 Exkurs: Der Gesetzesvorbehalt im unionsrechtlichen Kontext
Schluss: Zusammenfassung der Kernaussagen