Die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht ist ein auf mitgliedstaatlicher Ebene vieldiskutiertes Thema. Infolge aufsehenerregender arbeitsrechtlicher Entscheidungen des EuGH jüngerer Zeit stellt sich diese altbekannte Frage nach der sogenannten »Drittwirkung« für die Unionsgrundrechte neu. Lorenz Lloyd Fischer stellt diese Horizontalwirkungsdoktrin und ihre Auswirkungen auf das europäische und nationale Arbeitsrecht auf den rechtsdogmatischen Prüfstand.
Grundrechte verpflichten nur Hoheitsträger unmittelbar, nicht auch Private. Und auch unionale Richtlinien wirken nicht unmittelbar im Horizontalverhältnis der Bürger untereinander. Was lange als geklärt galt und der allgemeinen Meinung entsprach, wird durch eine arbeitsrechtliche Rechtsprechungslinie des EuGH zunehmend in Frage gestellt. Seit seiner Mangold-Entscheidung bejaht der Gerichtshof eine Horizontalwirkung der Unionsgrundrechte und verlässt dabei zunehmend das gewohnte Terrain der »mittelbaren Drittwirkung«, wenn er sich inzwischen sogar für eine unmittelbare Bindung privater Arbeitgeber an die EU-Grundrechte ausspricht. Gleichzeitig umgeht er durch den Rückgriff auf die Unionsgrundrechte seine ständige Rechtsprechung zur fehlenden Horizontalwirkung von Richtlinienbestimmungen. Dieses Vorgehen wirft zahlreiche europa- und verfassungsrechtliche Fragen betreffend die dogmatische Zulässigkeit und die Reichweite dieser Horizontalwirkungsdoktrin im Arbeitsrecht auf. Ihnen geht Lorenz Lloyd Fischer in der vorliegenden Untersuchung nach.
Die Arbeit wurde mit dem Gemeinsamen Promotionspreis der Unterfränkischen Gedenkjahrstiftung für Wissenschaft und der Universität Würzburg 2023 und dem Bayreuther Dissertationspreis für europäisches Arbeitsrecht 2023 ausgezeichnet.
Inhaltsübersicht
Einleitung
Kapitel 1: Grundlagen und Terminologie
§ 1 Zur innerstaatlichen Wirkung von Unionsrecht im Allgemeinen
§ 2 Begriffe und Dogmatik der grundrechtlichen Dritt- bzw. Horizontalwirkung
§ 3 Begrenzte Bedeutung der Charta-Grundsätze i.S.d. Art. 52 Abs. 5 GRC
Kapitel 2: Anwendbarkeit der GRC im mitgliedstaatlichen (Arbeits-) Recht
§ 4 Anwendungsbereich der Charta gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GRC
§ 5 Verbleibende Bedeutung des GG? – Zum Verhältnis von GG und GRC
Kapitel 3: Die Rechtsprechungslinie zur Horizontalwirkung der Unionsgrundrechte im Arbeitsrecht
§ 6 Ursprung: Die Rechtssache Mangold
§ 7 Tatbestandliche Ausdehnung – Von den Diskriminierungsverboten zu den sozialen Grundrechten
§ 8 Rechtsfolgenerweiterung – Von negativer zu positiver Horizontalwirkung
§ 9 Voraussetzungen der Horizontalwirkung aus Sicht des EuGH
Kapitel 4: Die Rechtsfolgenseite – Zulässigkeit von negativer und positiver Horizontalwirkung
§ 10 Vorfrage: Unmöglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung
§ 11 Die Zulässigkeit der negativen Horizontalwirkung der GRC
§ 12 Die Zulässigkeit der positiven Horizontalwirkung der GRC
Kapitel 5: Die tatbestandliche Reichweite – Grenzen der Horizontalwirkung
§ 13 Äußerste Geltungsgrenze: Anwendungsbereich der Charta
§ 14 Kompetenzielle Grenzen
§ 15 Inhaltliche Grenze: Erfordernis der unmittelbaren Anwendbarkeit
Kapitel 6: Horizontalwirkung von Richtlinien als Alternative?
§ 16 Keine generelle Horizontalwirkung von Richtlinien
§ 17 Horizontalwirkung grundrechtskonkretisierender Richtlinien?
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung