Die Bindung des Staates an das Recht und die Einbindung des Bürgers in Beziehungen des Rechts sind Einsichten Georg Jellineks von bleibend normativer Kraft.
Warum Jellinek? Weil bis zum heutigen Tag nicht einmal die Rechtswissenschaft mit Jellineks Doppelperspektive auf das Recht viel anzufangen weiß. Im Grunde ist ihr seine Methode suspekt: zu staatsfixiert oder zu soziologisch - oder beides. So ist vieles verschüttet worden, was die moderne Staatsrechtslehre erst neuerlich, mitunter mühsam im Zuge wachsender Internationalisierung und Globalisierung, aufbaut. Das Recht jenseits des Staates zu denken, die »Eigenlogik« gesellschaftlicher Praxis und deren Ordnungsfunktion und Bedeutung für das Recht zu erfassen, den internen Legitimationskern des Rechts und dessen Fruchtbarkeit zu erkennen, all das sind Herausforderungen, die in den Rupturen der letzten zwei Jahrzehnte sichtbar geworden sind. Daß gerade Jellinek zum Verstehen dieser Herausforderungen maßgeblich beitragen kann, mag nur für jene paradox erscheinen, die in ihm ein altes »Zitierfossil« (Kersten) einer überkommenen Disziplin sehen. Die Allgemeine Staatslehre hat sich die Aufgabe gestellt, elementare Ordnungsphänomene zu durchdringen. Und auch wenn diese zum Teil ihre Gestalt gewandelt haben - die Macht des Staates ist kleiner geworden, die Ansprüche der Gesellschaft politischer -, so bleibt doch die Aufgabe nach wie vor aktuell; und mit ihr viele der bekannten Probleme, die immer noch Rätsel aufgeben. Eines dieser Rätsel ist das »Doppelleben« des Rechts, nämlich »[e]inmal als tatsächliche Rechtsübung, als welche es eine der sozialen Mächte ist, die das konkrete Kulturleben eines Volkes ausgestalten. Sodann aber als ein Inbegriff von Normen, der bestimmt ist, in Handlungen umgesetzt zu werden.« Diese kleine Passage, die sich in der »Allgemeinen Staatslehre« findet, umreißt Jellineks großes Thema, sein Lebensthema, das sämtliche Stichwörter durchwirkt, die ihm den Rang eines Klassikers eingebracht haben.
Inhaltsübersicht:
Klaus Dicke: In memoriam Winfried Brugger (1950-2010) -
Winfried Brugger†: Georg Jellinek als Sozialtheoretiker und Kommunitarist -
Andreas Anter: Max Weber auf den Spuren Georg Jellineks -
Oliver W. Lembcke/Bart van Klink: »Das mag in der Praxis richtig sein, taugt aber nicht für die Theorie«. Zum Verhältnis zwischen Faktizität und Normativität bei Jellinek und Kelsen -
Christoph Enders: Die Freiheit des status subiectionis. Zur Geburt der Grundrechtsdogmatik aus dem Geist des Rechtsverhältnisses in Georg Jellineks »System der subjektiven öffentlichen Rechte« -
Manfred Rehbinder: Statusbegriffe von Sir Henry S. Maine über Georg Jellinek bis heute -
Hans Vorländer: Statuslehre und Staat bei Georg Jellinek -
Winfried Kluth: Statuslehre verwaltungsrechtlich. Spiegeln sich die Status von Bürger und Staat auch in der modernen Verwaltungsrechtsdogmatik wider? -
Jens Kersten: Mehrheit und Minderheit im Minoritätenstaat. Georg Jellineks rechtspolitische Schriften 1885 bis 1906 als Beitrag zum Verhältnis von Staatsrechtslehre und Politik im Spätkonstitutionalismus und darüber hinaus -
Stephan Kirste: Verfassung und Verfassungswandel bei Georg Jellinek -
Christian Hillgruber: Jellineks »Lehre von den Staatenverbindungen« und der Streit um die Souveränitätsverständnisse -
Elena Pribytkova: Georg Jellineks Einfluß auf die russische Rechtskultur -
Manfred Walther: Jellinek und Spinoza. Eine übersehene Verbindung