Die Friedliche Revolution von 1989 wird gegenwärtig vielfach ignoriert, beklagt oder partiell geleugnet. Kann die Erinnerung an sie aber nicht vielmehr ein Mittel gegen politische Resignation und Pessimismus unserer Gegenwart sein? Das ist die Frage einer interdisziplinären Ringvorlesung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, deren Ergebnisse hier dokumentiert werden.
Immanuel Kant hat einst die Französische Revolution als ein »Geschichtszeichen« bezeichnet, weil sie noch in den fernsten Zuschauern die Hoffnung auf die prinzipielle Verbesserungsfähigkeit menschlicher Verhältnisse habe wecken können. Der erinnernde Rückblick auf 1789 sollte zum Mittel gegen die lähmende Macht von Pessimismus und Resignation werden. Gerade in unseren Zeiten einer vielbeschworenen Krise des westlich-liberalen Gesellschaftsmodells scheint solch ein Gegenmittel mehr als nötig zu sein. Könnte die Erinnerung an die im Osten Deutschlands und Europas vor mehr als dreißig Jahren begonnene politische Revolution hier nicht einen entscheidenden Beitrag leisten? Der Bearbeitung dieser Frage widmete sich anlässlich des 35. Jubiläums des Mauerfalls eine interdisziplinäre Ringvorlesung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, deren Ergebnisse in diesem Band dokumentiert werden.
Inhaltsübersicht:
Constantin Plaul/Karl Tetzlaff: Einleitung
Joachim Gauck: »1989/90: Freiheit erringen, Freiheit gestalten«
Teil 1: Allgemeine GrundlagenJan Kostka: Das Geschichtszeichen als Gegenstand der Forschung - eine Übersicht
Birgit Recki: Die Französische Revolution als »Geschichtszeichen«? Über den Wert einer häufig übersehenen Kantischen Pointe
Mareike Kajewski: Die Revolution als Erfahrung von Freiheit
Jörg Dierken: Geschichtszeichen: Eine religiöse Deutungsfigur?
Friedhelm Hartenstein: Exodus - Ereignis, Erinnerung, Erwartung. Zur symbolischen Prägnanz der biblischen Befreiungserzählung
Teil 2: Die Anwendung auf 1989Martin Sabrow: 1989 im Deutungsstreit der Narrative - Revolution oder Wende? Zur Semantik des Umbruchs 1989/90
Ruth Conrad: »Räumt die Steine hinweg«. Predigten als theologische und politische Deutungsprojekte
Anna Lux: Den Umbruch erzählen. Fiction als Zugang zu Geschichte/n
Clemens Meyer: »Als wir träumten«. Erinnerungen an das große Verschwinden
Rainer Eckert: Die Friedliche Revolution gegen die SED-Diktatur im Kontext deutscher Freiheits- und Demokratiegeschichte
Constantin Plaul/Karl Tetzlaff: Geschichtszeichen der Freiheit. 1989 als exemplarischer Bezugs-punkt einer bürgerlichen Befreiungstheologie
Teil 3: AusblickeStephan Wackwitz: Die 'kleine Arbeit' der Freiheit. Philosophische, urbanistische, innenarchitektonische und psychologische Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten in Osteuropa
Marina Weisband: Revolution der Würde. Der Maidan und seine Folgen