Die Verehrung der Seitenwunde Christi ist im Spätmittelalter allgegenwärtig. Anne Bezzel zeigt, dass diese Devotion in einen komplexen Kosmos spätmittelalterlicher Religiosität eingebettet ist, der gekennzeichnet ist durch die Bedeutsamkeit des Körpers, die Sehnsucht nach Gnade, die Entdeckung der Liebe oder den Diskurs über Konzepte des Männlichen und Weiblichen.
Diese Arbeit wurde mit dem Promotionspreis der Nürnberger Staedtler-Stiftung 2023 ausgezeichnet.
Auf dem weiten Feld der spätmittelalterlichen Frömmigkeitstheologie lenkt Anne Bezzel das Augenmerk auf die Verehrung der Seitenwunde Christi. Basierend auf der Untersuchung exemplarischer Texte der Gertrud von Helfta, Angela von Foligno und Ludolf von Sachsens, ergänzt durch die Analyse einschlägiger Passagen der Frankfurter Dirigierrolle und des Frankfurter Passionsspiels sowie zahlreicher Bildquellen, fragt sie nach den komplexen Konnotationen der Seitenwunde Christi sowie nach den vielfältigen Verbindungslinien zu anderen prägenden Frömmigkeitsphänomenen. Mit Blick auf insgesamt acht Themenfelder - unter ihnen das Phänomen der fluiden Geschlechterkonzeptionen oder der »normativen Zentrierung« auf die nahe Gnade - wird untersucht, inwiefern man die Seitenwunde Christi als verbindendes und vertiefendes Moment in der Vielstimmigkeit spätmittelalterlicher Frömmigkeitstheologien fassen könnte.
Diese Arbeit wurde mit dem Promotionspreis der Nürnberger Staedtler-Stiftung 2023 ausgezeichnet.
Inhaltsübersicht:
1. Einführung: Die Verehrung der Seitenwunde Christi im ausgehenden Mittelalter - der Versuch einer Annäherung
1.1 Vorurteile, Missverständnisse, Projektionen
1.2 Text, Körper, Bild: Der Niederschlag der Seitenwundenfrömmigkeit in literarischen, performativen und bildlichen Zeugnissen des Spätmittelalters
1.3 Der verwundete Leib Christi im Fokus des ausgehenden Mittelalters - Verschiebungen, Voraussetzungen und Verbindungslinien
2. Die Devotion zur Seitenwunde Christi als Schnittfläche spätmittelalterlicher Frömmigkeitsströmungen
2.1 Leibhaftige Frömmigkeit - die Heilsrelevanz des Körpers im Spätmittelalter
2.2 Essenz des Lebens und Symbol der Destruktion: Blut und Wunden als Objekte der Devotion
2.3 Eindrückliche Wunden - das Phänomen der Stigmatisierung
2.4 »Weder Mann noch Frau« - die Frömmigkeit als subversive Kraft im Spiel der Geschlechteridentitäten
2.5 Verzehren Gottes - die Eucharistiefrömmigkeit als sich Verzehren nach Gott
2.6 Die Entdeckung der Liebe
2.7
Memoria passionis - die »normative Zentrierung« auf die Passion Christi
2.8 Sehnsucht nach Gnade - Das Streben nach Heilsvergewisserung
3. Innen und Außen, Verwundung und Heilung, Leid und Leidenschaft - die Seitenwunde als vieldeutiges und verbindendes Signum der spätmittelalterlichen Frömmigkeit