Der Band untersucht die Rolle der deutschen Rechtswissenschaft im deutschen Kolonialismus und koloniale Kontinuitäten im deutschen Recht seither. Im Fokus stehen die Zeit, in der das Deutsche Kaiserreich formal eine Kolonialmacht darstellte, Nachwirkungen des Kolonialismus seit 1919 und aktuelle rechtswissenschaftliche Debatten, für die koloniale Dimensionen oder postkoloniale Theorieangebote relevant sind.
Der Band untersucht die Rolle der Rechtswissenschaft im deutschen Kolonialismus und koloniale Kontinuitäten im deutschen Recht. Dabei stehen drei Blickrichtungen im Mittelpunkt: erstens Recht und Rechtswissenschaft während der Zeit, in der das Deutsche Kaiserreich formal eine Kolonialmacht war, zweitens die Nachwirkungen des Kolonialismus nach 1919 und drittens die Relevanz kolonialer Dimensionen oder postkolonialer Theorieangebote in aktuellen rechtswissenschaftlichen Debatten. Der Band leistet damit einen Beitrag zur Geschichte der Disziplin in ihrer Breite. Zugleich adressiert er aus rechtswissenschaftlicher Perspektive heutige Kontroversen um Reparationen für koloniales Unrecht und neokoloniale Strukturen der politischen Ökonomie. Des Weiteren markiert er Anfänge einer reflexiven Rechtswissenschaft, die sich ihres Beitrags zu Kolonisation und kolonialer Kontinuitäten bewusst wird und damit die Voraussetzungen für ein post- und dekoloniales Recht schafft.
Inhaltsübersicht:
Philipp Dann/Isabel Feichtner/Jochen von Bernstorff: (Post)Koloniale Rechtswissenschaft: Einleitung
I. KolonialzeitDoris Liebscher: Zwischen rassistischer Rechtsspaltung und Antidiskriminierungskategorie - »Rasse« als ambivalenter Begriff deutschen Rechts -
Andreas Gutmann/Felix Hanschmann: Staatsorganisationsrecht: deutsche Kolonialgebiete im Verfassungsrecht des Deutschen Reiches -
Christian Waldhoff: Kolonial-Finanzverfassung: Die Finanzierung der deutschen Kolonien und deren Rückwirkungen auf die Verfassung des Kaiserreichs -
Michael Droege: Staatskirchenrecht und koloniale Rechtswissenschaft -
Pascale Cancik: Strukturen des Kolonialverwaltungsrechts im Deutschen Kaiserreich -
Martin Heger: Koloniales Strafrecht -
Isabel Feichtner: Koloniales Wirtschaftsrecht und der Wert der Kolonisation -
Ulrike Lembke: »Wir sind Deutsche, wir sind Weiße und wollen Weiße bleiben«: Ehenormen, Rassenideologien und Untergangsangst angesichts von »Mischehen« und »Mischlingsbevölkerung« im kolonialen Kaiserreich -
Jochen von Bernstorff: Koloniale Herrschaft durch Ambivalenz: Die deutsche Völkerrechtswissenschaft und die Kolonien -
Sigrid Köhler: Koloniale Ambivalenz: Das Recht in Jesco von Puttkamers Das Duallamädchen (1908)
II. Post-KolonialzeitFelix Lange: Koloniale Kontinuitäten unterm Hakenkreuz -
Andreas Fischer-Lescano: Deutschengrundrechte: Ein kolonialistischer Anachronismus -
Philipp Dann: »Neokolonialismus«, Innovationen und Amnesien: Verfassungsvergleichung im Deutschland der Nachkriegszeit -
Sigrid Boysen: (Post)Koloniales Umweltrecht -
Thomas Kleinlein: Dekolonisierung und Dritte Welt in der Völkerrechtswissenschaft der Bundesrepublik -
Ingo Venzke/Philipp Günther: Kontinuität und Wandel im völkerrechtlichen Investitionsschutz: Eine Analyse anhand des ersten BIT zwischen Deutschland und Pakistan (1959)
III. Kontexte und heutige AuseinandersetzungenMatthias Goldmann: »Ich bin Ihr Freund und Kapitän«: Die deutsch-namibische Entschädigungsfrage im Spiegel intertemporaler und interkultureller Völkerrechtskonzepte -
Sebastian Spitra: Rechtsdiskurse um die Restitution von Kulturerbe mit kolonialer Provenienz -
Michael Riegner: Postkoloniale Erinnerungspolitik im deutschen Recht: Von der Dekolonisierung des öffentlichen Raumes zur antikolonialen Demokratie -
Rosemarie Will: Die deutsche Wiedervereinigung als Kolonialisierungsakt?
IV. EpilogAlexandra Kemmerer: Die verspätete Rezeption: (Post)Koloniale Rechtswissenschaft zwischen Amnesie und Urteilskraft