Nach der Niederlage im 1. Weltkrieg verpflichtete der Versailler Friedensvertrag das Deutsche Reich zu einer weitreichenden militärischen Abrüstung. Amelie Tscheu untersucht die Rechtsprechung des Reichsgerichts gegen pazifistische Journalisten, die in den 1920er- und frühen 30er-Jahren über illegale Rüstungsmaßnahmen der Reichswehr berichteten.
Nach der Niederlage im 1. Weltkrieg verpflichtete der Versailler Friedensvertrag das Deutsche Reich zu einer weitreichenden militärischen Abrüstung. Pazifistischen Journalisten, die über illegale Rüstungsmaßnahmen der Reichswehr berichteten, drohte unter dem Vorwurf des publizistischen Landesverrats ein Verfahren vor dem Leipziger Reichsgericht. Dessen Urteile gegen Kritiker der illegalen Rüstung gelten in der bisherigen Forschung als exemplarischer Beleg der antirepublikanischen Weimarer Justiz. Demgegenüber zeigt Amelie Tscheu die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen der Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Außen- und Militärpolitik der Weimarer Regierungskabinette im Verlauf der 1920er- und frühen 30er-Jahre auf. Sie verbindet die Analyse klassisch rechtswissenschaftlicher und allgemein geschichtswissenschaftlicher Quellen, um den publizistischen Landesverrat als politische Straftat im Spannungsfeld von Recht und Politik zu begreifen.
Inhaltsübersicht:
Einleitung
I. Der gescheiterte Wiederaufnahmeantrag Rosalinde Ossietzky-Palms - II. Forschungsüberblick - III. Methodik - IV. Fragestellung - V. Quellenlage -VI. Gliederung
A. Einführung in die Thematik des publizistischen Landesverrats in der Weimarer Republik
I. Der Weg von der Publikation zum Gerichtsprozess - II. Gerichtliche Zuständigkeit - III. Prozessbeteiligte - IV. Anzahl der Verfahren (Gumbel vs. Jorns) - V. Rechtliche Grundlagen der Verfahren - VI. Das Strafmaß bei der Verurteilung wegen publizistischen Landesverrats - VII. Politische Amnestien
B. Vom Kaiserreich zur Republik
I. Die völkerrechtlichen Auswirkungen auf das Weimarer Staatssystem - II. Die Entwicklung der strafrechtlichen Bestimmungen zum Landesverrat
C. Die Verfahren wegen publizistischen Landesverrats im Kontext der militärpolitischen Entwicklungen
I. Thematische Einordnung - II. Die Einbettung der Reichswehr in das republikanische Staatssystem und ihre Doppelrolle in den Landesverratsverfahren - III. Die Militärpolitik der deutschen Regierungskabinette und die illegalen Rüstungsmaßnahmen der Reichswehr - IV. Die Stellung des Auswärtigen Amts in den Verfahren des publizistischen Landesverrats - V. Die Reichswehr und die Parteien des deutschen Reichstags - VI. Legislative Reformversuche der gesetzlichen Bestimmungen zum publizistischen Landesverrat - VII. Die Militarisierung der Weimarer Gesellschaft und der deutsche Pazifismus - VIII. Zusammenfassung
D. Der publizistische Landesverrat als politische Straftat und das Verhältnis der Judikative zum republikanischen Staatssystem
I. Thematische Einordnung - II. Die soziale Herkunft der deutschen Justizbeamten - III. Das Leipziger Reichsgericht in den Verfahren des publizistischen Landesverrats - IV. Der Austausch zwischen Reichsanwaltschaft und Reichsregierung - V. Der innerjuristische Diskurs zu den Verfahren des publizistischen Landesverrats - VI. Die Bedeutung der »Grundrechte und Grundpflichten« in den Verfahren des publizistischen Landesverrats - VII. Der duale Staatsbegriff in den Verfahren des publizistischen Landesverrats - VIII. Gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Republik und ihre Anwendung in der Rechtspraxis - IX. Der Vertrauensverlust der Weimarer Justiz und die politischen Amnestien - X. Zusammenfassung
E. Der Fall Felix Fechenbach vor dem bayerischen Volksgericht 1922 und das Verfahren gegen Walter Oehme (Urteil vom 28.08.1923 - 7J69/23)
I. Das Verfahren gegen Felix Fechenbach - II. Das Verfahren gegen Walter Oehme vor dem Leipziger Reichsgericht (Urteil vom 28.08.1923 - 7J69/23) - III. Zusammenfassung
F. Der Ponton-Prozess gegen Friedrich Küster und Berthold Jacob (Urteil vom 14.03.1928 - 7J63/25, RGSt 62,65)
I. Der Gegenstand des Verfahrens - II. Die Angeklagten - III. Der Artikel »Zeitfreiwilligengrab in der Weser« - IV. Der Artikel »Weitermachen...« - V. Die Urteilsbegründung und das Protokoll des Reichswehrministeriums - VI. Die Veröffentlichung der Urteilsbegründung - VII. Reaktionen auf das Urteil - VIII. Zusammenfassung
G. Der Weltbühne-Prozess gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser (Urteil vom 23.11.1931 - 7J35/29)
I. Die Angeklagten - II. Der Gegenstand des Verfahrens - III. Der Ablauf des Verfahrens - IV. Die Gerichtsverhandlung - V. Die Urteilsbegründung - VI. Reaktionen auf das Urteil - VII. Die militärhistorischen Gutachten aus den 1990er-Jahre - VIII. Die Bedeutung des Weltbühne-Prozesses für die Analyse der Verfahren des publizistischen Landesverrats - IX. Zusammenfassung
Fazit