Irrationalität wird weithin als Ausdruck und mögliche Ursache eines intellektuellen und wohl auch moralisch folgeträchtigen Lasters verstanden. Religionen aber scheinen Irrationalität durchweg zu fördern und zu begünstigen, machen sich dadurch also intellektuell und ethisch per se verdächtig. Oder nicht? Dieser Frage gehen die Autoren der Beiträge des vorliegenden Bandes in historischer und systematischer Perspektive nach.
Religionskritik wird gerade in der jüngeren Vergangenheit bevorzugt als Kritik an der vermeintlichen Irrationalität religiösen Glaubens artikuliert. Die Autoren der im vorliegenden Konferenzband versammelten Beiträge fragen zunächst anhand exemplarischer Studien zu Hamann, Hegel, Schelling, Nietzsche und Rudolf Otto nach der Bedeutung und Funktion des Irrationalen in rezeptionsgeschichtlich maßgeblichen religionsphilosophischen Entwürfen der (Nach-)Aufklärung. Ergänzt und zugespitzt wird der historische Abschnitt des Bandes durch Analysen zu Werk und Wirkung Søren Kierkegaards, dem neuzeitlichen Irrationalitätstheoretiker par excellence. Darüber hinaus wird aus systematischer Perspektive nach der kritischen und/oder konstruktiven Funktion des Irrationalitätsthemas für Religionsphilosophie und Theologie gefragt, wobei nicht nur semantische, sondern auch fundamentaltheologische und ethische Aspekte Berücksichtigung finden.
Inhaltsübersicht:
Jochen Schmidt/Heiko Schulz: Vorwort
A. Historische Perspektiven§ 1 Von J.G. Hamann zu R. Otto: Ein problemgeschichtlicher Querschnitt
Harald Steffes: »Eine gehörige Verteilung von Licht und Schatten«. Johann Georg Hamann zwischen Rationalismus und Irrationalismus -
Jon Stewart: Hegel's Criticism of the Enlightenment's Charge of the Irrationality of Religion -
Knut Wenzel: Ekstase statt Diskurs? Schelling und die (Un-)Möglichkeit, das Absolute zu denken -
Daniel Conway: Who Murdered God? Nietzsche's Critique of Religion Reconsidered -
Todd Gooch: Rudolf Otto and »The Irrational in the Idea of the Divine«
§ 2 Kierkegaard und die Folgen: Quellen- und rezeptionshistorische FallanalysenZoltan Gyenge: Diesseits oder Jenseits von Gut und Böse. Gott und das Irrationale bei Böhme, Schelling und Kierkegaard -
Curtis Thompson: The Delightfully Irrational Fruits of Dancing in God. Whitehead as a Complement to Hegel and Kierkegaard -
Peter Sajda: From Objectless Inwardness to Political Irrationalism. Adorno's Critique and Defense of Kierkegaard -
István Czako: Kann der Glaube philosophisch sein? Aspekte der Irrationalitätsproblematik im Glaubensverständnis Kierkegaards und Karl Jaspers' -
William McDonald: The Higher Madness of Kierkegaard's Inverse Dialectic -
Dario Gonzalez: Religious Truth as Earnestness. Kierkegaard and Faith as a Process of Education
B. Systematische PerspektivenOliver Wiertz: Zum Begriff und zum Problem der religiösen Irrationalität in religionsphilosophischer Perspektive -
Jochen Schmidt: Schwacher Irrationalismus. Theologie als Wissenschaft -
Heiko Schulz: Das Mögliche ist überflüssig, das Notwendige unmöglich. Zur Logik paradoxer Aussagen in der Theologie -
Gesche Linde: Religion - Irrationalität - Gewaltbereitschaft. Zur Problematisierung eines Deutungsmusters