Das Alte Testament ist ein Werk, das Traditionen prägte, aber zugleich selbst durch die vielfältige Benutzung von Traditionen lebt. Diese wurden nicht unverändert weitergegeben, sondern immer wieder neu gebildet, korrigiert und umgestaltet, um die je aktuelle Gegenwart (theologisch) zu deuten. Der vorliegende Band beleuchtet diese Konstruktionsvorgänge anhand großer Traditionen des Alten Testaments, besonders im Bereich der Psalmen und der prophetischen Literatur.
Traditionen prägen die kollektive Identität. Sie zeugen weniger von starren vorgegebenen Inhalten, sondern von aktiven Prozessen der Konstruktion und Transformation, die der Verarbeitung der Vergangenheit und der Gestaltung der jeweiligen Gegenwart dienen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes, der auf eine Tagung vom 30.09.-02.10.2016 an der Ev.-Theol. Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen zurückgeht, nehmen solche Vorgänge von Traditionsbildung, -weitergabe und -umformung für das - in seine altorientalische 'Umwelt' eingebettete - alte Israel in den Blick. Dabei fokussieren die Beiträge neben grundsätzlicheren methodischen Überlegungen zur Traditionsliteratur auf die Textbereiche der Prophetie und der Psalmen, in denen grundlegende Traditionen in den Argumentationsgängen von zentraler Bedeutung sind: Exodus, Zion, Opfer, aber auch Prozesse der Legitimation im prophetischen Bereich (Jer, Ez).
Inhaltsübersicht:
Traditionsliteratur, Traditionsgeschichte - Methodische Grundlagen und Grundfragen
Erhard Blum: Institutionelle und kulturelle Voraussetzungen der israelitischen Traditionsliteratur -
Jürgen Ebach: Frag-mentale Beobachtungen und Impressionen zu Tradition und Invention sowie zu Verbindungen zwischen Forschungsgegenstand und Forscherselbstbild in der Exegese -
Bernd U. Schipper: Ägyptische Hymnen des 1. Jahrtausends und das Alte Testament. Zu Transformation und Transmission ägyptischer Texttraditionen
Konstruktion von Tradition(en)
Thomas Römer: Auszug aus Ägypten oder Pilgerreise in die Wüste? Überlegungen zur Konstruktion der Exodustradition(en) -
Rainer Albertz: Ausprägungen der Exodustradition in der Prophetie und in den Psalmen -
Konrad Schmid: Jeremia als klagender und leidender Prophet. Traditionsgeschichtliche Überlegungen -
Georg Fischer, SJ: Lebendige Erinnerung im Jeremiabuch -
Irmtraud Fischer: Konstruktion, Tradition und Transformation weiblicher Prophetie
Transformation von Tradition(en)
Bernd Janowski: »Mein Schlachtopfer ist ein zerbrochener Geist« (Ps 51,19). Zur Transformation des Opfers in den Psalmen -
Judith Gärtner: Eine Frage der Gerechtigkeit? Identität durch Transformation am Beispiel der Gnadenformel in den späten Psalmen -
Martin Leuenberger: »Gott ist in ihrer Mitte, sie wankt nicht« (Ps 46,6). Zur Formation und Transformation dreier zionstheologischer Kernvorstellungen -
Christophe Nihan: Between Continuity and Change: The High Priest Joshua in Zechariah 3 -
Markus Saur: Eine prächtige Zeder. Transformationen der Königstradition im Ezechielbuch
Tradition als Argument
Jakob Wöhrle: »Was habt ihr da für einen Spruch?« (Ez 18,2). Traditionskritik in den Disputationsworten des Ezechielbuches -
Ruth Ebach: »Propheten, die vor dir und vor mir waren«. Traditionsbezug als Argument im Konflikt um wahre Prophetie im Jeremiabuch -
Reinhard Müller: »Wo sind deine früheren Hulderweise, Herr?« Tradition als
argumentum ad deum in Psalm 89