Vor dem Hintergrund der den europäischen Verfassungsvertrag ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden gehen die Autoren der hier gesammelten Beiträge der Frage nach, wo die EU, ihre Mitgliedstaaten und die Bürger im europäischen Integrationsprozeß stehen, insbesondere welche Antworten das mitgliedstaatliche und das europäische Verfassungsrecht auf die momentanen Probleme gibt und geben kann.
Die Mitgliedstaaten der EU, die sich in dieser Rolle notwendig als offene Verfassungsstaaten konzipieren müssen, haben ihre gesamte Rechtsordnung gegenüber dem vorrangigen Europarecht geöffnet. Im Zuge dessen gilt es, die wechselseitige Verzahnung vom europäischen und nationalen Verfassungsrecht sichtbar zu machen, verfassungsrechtlich aufzubereiten und rechtsdogmatisch zu steuern. Mit den am Begriff des Verbunds orientierten Ansätzen wird dabei die gesamteuropäische Verfassungswirklichkeit dahingehend auf den Punkt gebracht, daß die Verfassungsordnungen mehrerer Ebenen zwar einerseits autonom nebeneinander stehen, andererseits aber den Charakter komplementärer Teilordnungen haben, die in vielfacher Weise normativ mit dem europäischen Verfassungsrecht verklammert sind: Europäisches und mitgliedstaatliches Verfassungsrecht sind voneinander abhängig und aufeinander angewiesen, weshalb zur Vermeidung von Konflikten die stete Berücksichtigung der Vorschriften des anderen Rechtskreises bei der Interpretation der Vorschriften des eigenen Rechtskreises erforderlich ist. Diese grundlegende Zukunftsfrage von Staat und Verfassung im Kontext der EU wurde im Rahmen der Ersten Göttinger Gespräche zum deutschen und europäischen Verfassungsrecht von Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert. Vor dem Hintergrund der den europäischen Verfassungsvertrag ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden sammelt der Tagungsband Beiträge, die grundlegend der Frage nachgehen, wo die EU, ihre Mitgliedstaaten und die Bürger im europäischen Integrationsprozeß stehen.
Inhaltsübersicht:
I. TagungsbeiträgeAntonio Puri Purini: Die Europäische Union der Zukunft: Zwischen Binnenmarkt, Verfassung und Kerneuropa -
Christoph Möllers: Staat und Verfassung im Kontext der Europäisierung -
Ulrich Haltern: Europa, Verfassung, Identität - Ingolf Pernice: Theorie und Praxis des Europäischen Verfassungsverbundes -
Matthias Jestaedt: Der Europäische Verfassungsverbund. Verfassungstheoretischer Charme und rechtstheoretische Insuffizienz einer Unschärferelation -
Sven Hölscheidt: Europäische Verfassungsprinzipien im Verfassungsentwurf -
Frank Hoffmeister: Die Wirkweise des europäischen Rechtsstaatsprinzips in der Verwaltungspraxis -
José Martinez: Die Bedeutung der (Verfassungs-) Rechtsvergleichung für den europäischen Staaten- und Verfassungsverbund: Die Methode der Rechtsvergleichung im Öffentlichen Recht -
Franz C. Mayer: Die Bedeutung von Rechts- und Verfassungsvergleichung im europäischen Verfassungsverbund -
Christian Calliess: Zum Denken im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund: Abschließende Reflexion und (Re-) Konstruktion eines Konzepts im Lichte der vorstehenden Beiträge
II. Tagungs- und DiskussionsberichteDaniel Thym: Göttinger Gespräche zum deutschen und europäischen Verfassungsrecht: »Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund« -
Konrad Lachmayer und
Martina Lais: Diskussionen zum europäischen Staaten- und Verfassungsverbund. Bericht über die ersten Göttinger Gespräche zum deutschen und europäischen Verfassungsrecht