Jeremiah Coogan
Gospel as Recipe Book
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- 10.1628/ec-2021-0006
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Der Artikel widmet sich der Frage, wie Christen und Nichtchristen in der Spätantike mit dem »Evangelium« als Textartefakt umgegangen sind. Zunächst werden spätantike Praxistexte wie rituelle Formelsammlungen, medizinische Handbücher, landwirtschaftliche Leitfäden und astronomische Tabellen betrachtet, die in einer Vielzahl von Situationen abschnittsweise verwendet wurden, etwa beim lauten Lesen, beim Befolgen der Anweisungen für die Ausführung eines Rituals, die Zubereitung eines Medikaments oder den Entwurf eines Horoskops. Um dies zu erleichtern, waren solche Praxistexte für den nichtlinearen Zugriff angelegt. In spätantiken Evangelienkodizes spiegeln sich offenbar ähnliche Organisationsstrategien und Gebrauchsweisen wider. Mit verschiedenen Gliederungs- und Verweissystemen wurde die Möglichkeit (affordance) des nichtlinearen Gebrauchs in die Evangelienhandschriften integriert. Die Art der materiellen Beschaffenheit und Textualität spätantiker Evangelienkodizes überschneidet sich mit der der genannten Praxistexte, indem sie zu bestimmten Handlungsweisen anleitet und Anreiz zum nichtlinearen Gebrauch gibt. Der Blick auf diese verschiedenen Gebrauchstechniken – und die zugehörigen Gebrauchskontexte – macht Wissens- und Handlungsmuster erkennbar, die das »Evangelium« als Textartefakt in der Spätantike konturieren.