Den einen gelten Paritätsgesetze als Gefährdung demokratischer Grundprinzipien, den anderen als Einlösung des Versprechens vom gleichen Wahlrecht. Lea Rabe misst die politische Wirklichkeit an der Verfassung: an Gleichheit, Demokratie und Repräsentation. Daraus folgt, dass Parität als intersektionale Antwort auf Ungleichheit in der Demokratie weitergedacht werden muss.
Ist geschlechtergerechte Partizipation eine Bedingung für demokratische Legitimität? Lea Rabe eröffnet in der festgefahrenen Diskussion um Paritätsgesetze bisher wenig beachtete Perspektiven durch Nachspüren der Ratio der Verfassung: Sind die »großen Erzählungen« des Grundgesetzes - Gleichheit, Demokratie, Repräsentation - kohärent? Mehr noch: Sind sie politische Wirklichkeit? Gelagert am Grenzbereich zwischen Rechtstheorie und -politik schöpft diese Studie aus den
Legal Gender Studies sowie interdisziplinärer Informiertheit. Das ermöglicht, Parität weiterzudenken: als intersektionale Antwort auf Ungleichheit in der Demokratie. Denn nicht nur Frauen, auch andere Menschen - etwa mit Migrationsgeschichte, Behinderung oder ohne akademische Bildung - »fehlen« im Bundestag. Unsichtbar bleibt auch die »Dritte Option«. Das Fazit: Parität ist möglich, doch die jüngere Rechtsprechung schafft weiterführende gleichheitsdogmatische Perspektiven.
Inhaltsübersicht:
A. Einleitung: Paritätisches Wahlrecht als Mehrebenenphänomen
I. Notwendig intersektional: demokratische Gleichheit multipliziert - II. Permeabilitäten der Verfassungsforschung - Interdisziplinarität gegen Hermetik
B. Bestandsaufnahme: strukturelle Partizipationshürden für Frauen im politischen Bereich
I. Der Androzentrismus des Staates und der aktiven Staatsbürgerlichkeit - II. Politik: (K)ein »Ort für Frauen«? Geschlecht im politischen Raum - III. Zusammenfassung und Sortierung: »Magisches Dreieck« und Marktmodell
C. Intersektionale Reflexion: Unterrepräsentation innerhalb und unweit der Geschlechterdimension
I. Multiplizitäten der Macht: Intersektionalität, Postkategorialität und Anti-Essentialismus - II. Paritätsgesetze und geschlechtliche Vielfalt: Agieren im Dunkelfeld - III. Rassistische, sexistische und klassistische Diskriminierung von aspirierenden Politiker:innen mit »Migrationshintergrund« - IV. Der racial contract - Staatsbürgerlichkeit in der weißen Vorherrschaftsordnung - V. Das PartMigG: Selbstrepräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte und der nationalen Minderheiten der Sinti und Roma - VI. Fazit: Antidiskriminierungsrechtliche Eindimensionalität von Frauenquoten
D. Gleichheitsrechte: Die Phase materialer demokratische Gleichheit
I. Reichweite und Inhalt des Gleichstellungsgebotes aus Art. 3 II 2 GG: Recht gegen strukturelle Benachteiligung - II. Materiale Gleichheit pluralisiert: Art. 3 III 1 GG als Hierarchisierungsverbot - III. Materiale Gleichheit ist demokratische Gleichheit ist staatsbürgerliche Gleichheit
E. Pluralistische Demokratie und die Diversifizierung von Repräsentation
I. Repräsentation und Demokratie im Grundgesetz: Der repräsentierte Souverän - II. Die vier Repräsentationsdimensionen Hannah Pitkins - III. Homogenitätskonzepte des Monismus und Interessenpluralismus - IV. Ertrag: Parität als Mechanismus prozessual-pluralistischer Demokratie
F. Quoten Global besehen: Typen, Erfolge, Hintergründe
I. Fallstudien - Auf dem fast und incremental track zur politischen Gleichberechtigung - II. Politische Teilhabe indigener Völker auf nationaler Ebene - III. Zusammenschau zur Konturierung einer Quote für den Deutschen Bundestag
G. Bestandsaufnahme und Stellungnahme: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Wahllistenquote
I. Untersuchungsgegenstand: Wahllistenquotierung nach dem Reißverschlussprinzip - II. Kernaussagen des Wahlprüfungsbeschlusses von 15. Dezember 2020 - III. Kompetenzfrage I: Legislative Ausgestaltungsfreiheit im Wahlrecht gemäß Art. 38 III GG - IV. Kompetenzfrage II: Keine Pflicht zum Erlass eines Paritätsgesetzes - V. Kompetenzfrage III: Möglichkeit der Verfassungsänderung aufgrund Verfassungsidentitätskonformität - VI. Eigenstaatlichkeit der Länder: Die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte
H. Regelungsvorschläge neben der geschlechterparitätischen Wahllistenquote
I. Kandidatur von Wahlkreisteams als Lösung für Direktmandate - II. Art. 3 III 1 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für intersektionale Quoten: Exemplarischer Vorschlag positiver Maßnahmen für Menschen mit Migrationsgeschichte - III. Ausblick postkategorialer Partizipation: Stellungnahmerechte für Betroffenheitskollektive
I. Zusammenschau: Indienstnahme des Wahlrechts für einen demokratischen Pluralismus